Wenn Ihr Säugling oft schreit und Sie keinen Grund dafür erkennen können, wenn Ihr Kind auf Berührungen übermäßig kitzelig reagiert, wenn Probleme beim Anziehen und Essen oder Schwierigkeiten in der Schule auftreten, dann steckt möglicherweise eine Sensorische Integrationsstörung dahinter.
Sensorische Integration (SI) ist ein anderes Wort für Wahrnehmungsverarbeitung. Es drückt aus, dass das Kind mit seinem Nervensystem die aufgenommenen Informationen aus den Sinnessystemen so für sich nutzen kann, dass es situationsangemessen handeln kann. Sensorische Integration ist ein lebenslanger, sich an immer neue innere und äußere Anforderungen anpassender Wachstumsprozesse im Nervensystem.
Wenn der Prozess der Informationsverarbeitung im Nervensystem gestört ist, werden Lernen und Handeln schwierig, Fehler werden nicht bemerkt und wichtige, das Nervensystem strukturierende Erfolge fehlen. Kinder verlieren durch ständige Misserfolge ihren Mut und ihre Entdeckungslust. Als Folge können sie oftmals nicht allein spielen und depressives oder auch aggressives Verhalten zeigen.
Schon gleich nach der Geburt können sich manche Kinder nicht mit ihrem neuen Umfeld anfreunden und reagieren abwehrend oder mit Unbehagen auf ganz normale Alltagshandlungen.
Sie, die Eltern, die Ihr Kind täglich begleiten, sind die eigentlichen Experten für Ihr Kind. Sie bemerken zuerst, dass etwas nicht stimmt. Sie sehen, dass das Kind wenig ausprobiert und schnell mutlos wird. Diese Beobachtungen sollten Sie der Kinderärztin Ihres Vertrauens mitteilen. Sie kennt Ihr Kind von den Vorsorgeuntersuchungen und sieht es auch bei all seinen Kinderkrankheiten. Überlegen Sie mit dieser fachärztlichen Beraterin, welche Gründe für Ihre Beobachtungen in Betracht kommen können. Die Kinderärztin kann dann Rat geben, wie Ihr Kind im häuslichen Bereich zu fördern ist. Wenn sich keine positive Veränderung einstellt, braucht das Kind professionelle Hilfe. Ansonsten verstreicht wertvolle Zeit der Entwicklung, und es besteht die Gefahr, dass bereits vorhandene Fähigkeiten durch Nichtbenutzung des Nervensystems wieder verkümmern.
Bei solchen Entwicklungsproblemen hilft Ergotherapie, die in Praxen, interdisziplinären Frühfördereinrichtungen, sozialpädiatrischen Zentren oder Kliniken angeboten wird. Wenn es sich um eine zentrale Wahrnehmungsverarbeitungsstörung (ZVS) handelt, ist die Sensorische Integrationstherapie im Rahmen der ergotherapeutischen sensomotorisch-perzeptiven Behandlung am besten geeignet, dem Kind grundlegend, ganzheitlich und schnell zu helfen. Suchen Sie sich eine auf Sensorische Integrationstherapie spezialisierte Therapeutin. Diese haben ein Zertifikat, das z.B. der Deutsche Verband der Ergotherapeuten (DVE) vergibt. In aller Regel weiß Ihre Ärztin, wo Sie diese Therapie mit der entsprechenden wichtigen Beratung bekommen. Sie können auch vor der Behandlung die Ergotherapeutin gezielt nach ihrer Spezialisierung fragen.
Die spezialisierte Ergotherapeutin wird zu Beginn mit Ihnen, den Eltern und Ihrem Kind die Probleme und das Anliegen besprechen. Entsprechend den Vermutungen über mögliche Hintergründe der Probleme wird eine die Diagnose der Ärztin ergänzende Befunderhebung erforderlich. Dies kann durch Befragungen, gezielte Beobachtungen und Tests geschehen.
Ihre Therapeutin klärt Sie über die Befundverfahren auf, die für Ihr Kind in Frage kommen, und wird Ihnen die Ergebnisse dann nach etwa 3-6 Behandlungen erklären sowie die weiteren Maßnahmen mit Ihnen besprechen. Ist eine Behandlung notwendig, werden die Ziele der Behandlungen und die Stufen, auf denen sie erreicht werden sollen, miteinander abgesprochen. Außerdem v/erden Sie darin beraten, wie Sie Ihr Kind darüber hinaus zu Hause und im Umfeld unterstützen können.
Die Sensorische Integrationstherapie hilft, die Aufnahme der Sinneswahrnehmungen zu strukturieren, und unterstützt die Vernetzung der Wahrnehmungsverarbeitung im Gehirn, um eine verbesserte Handlungskompetenz zu erreichen. Das hilft Ihrem Kind, selbst erfolgreich zu sein und stützt damit seine Selbstsicherheit. Gleichzeitig trägt dies zu emotionaler Stabilität und sozialem Lernen bei. Die geschulte Ergotherapeutin erkennt die inneren Antriebskräfte im Kind und nutzt sie, um die Neugier und Erkundungslust im Kind zu wecken. Durch das ausgewählte Angebot mit dem genau richtigen Schwierigkeitsgrad hilft sie dem Kind, sein Gehirn zu entwickeln. Es wird nie Zwang ausgeübt, da dieser desintegrierend auf das Nervensystem wirkt.
Bewegung und Spiel sind die „alltägliche Betätigung und damit das „Lernfeld" des Kindes. In diesem therapeutischen Konzept werden solche Handlungsfelder für die Therapie genutzt. Daher kann die Behandlung sehr verschieden aussehen, manchmal wie ein Bewegungsspiel oder eine sportliche Übung, manchmal wird auch gestalterisch oder handwerklich gearbeitet. Sie kann auch, je nach Motivation des Kindes und je nach Ziel der Behandlung in unterschiedlich gestalteten Räumen stattfinden. Für die Entwicklung basaler sensomotorischer Fähigkeiten wird es eher ein Raum mit Bewegungsangeboten sein oder ein Raum, in dem Umgang mit Wasser oder z. B. Ton möglich ist. Die motorische Planung kann auch in einem Werkraum, einer Küche oder auf einem Pferd verbessert werden. Das Kind braucht eine dementsprechende Kleidung, die mit der Therapeutin abgesprochen wird.
Bei der auditiven Verarbeitung wird die Verbesserung der Wahrnehmungsverarbeitung unter anderem auch mittels spezieller Computerprogramme erreicht. Es ist wichtig, dass Sie als Eltern in die Therapie mit einbezogen sind, damit Sie auch kleine Fortschritte erkennen können, die auf eine verbesserte Verarbeitung im Nervensystem hindeuten. Wenn beispielsweise das Kind bäuchlings in einer Hängematte liegt und mit Schwung einen Luftballon anschlägt, dann wird Ihnen vielleicht zunächst nicht deutlich, warum die Therapeutin diese Aktivität wählt. Sie wird Ihnen dann erklären, dass die gradlinige starke Beschleunigung in dieser Position eine Hilfe für das Kind darstellt, seine Kopf- und Haltungskontrolle zu verbessern.
Sie können dann miterleben, dass diese Verbesserung sichtbar andauert und damit eine der Voraussetzungen zum Beispiel für das Malen entwickelt wird. Ähnliches gilt auch für andere Aktivitäten. Auf verschiedenen Geräten und mit unterschiedlichen Materialien verbessert das Kind seine Stütz- und Gleichgewichtsreaktionen und speichert sie im Gehirn, um sie schnell abrufbar in den Situationen des Alltags zu nutzen. Sie können erleben, dass dies Ihr Kind befähigt zu handeln, ohne dauernd durch tollpatschiges Agieren Misserfolge zu ernten. Beim Arbeiten z. B. mit Ton oder Holz wird sehr gut sichtbar, wie die Zusammenarbeit beider Körperseiten gefördert werden kann und welche Hilfestellungen unnötig oder sogar störend sind. Hier ist auch wichtig, deutlich zu machen, auf welcher Ebene der Handlung das Kind erfolgreich ist. Wie sich dabei das Nervensystem strukturiert und das Kind sich mit Freude weiter anstrengt. Sie können an dem Erfolg und an der steigenden Selbstsicherheit Ihres Kindes teilnehmen.
Die Therapeutin berichtet der verordnenden Ärztin über die Befunde und die erreichten Ziele. Alle Beteiligten besprechen in Abständen die Fortschritte und beenden nach erfolgreicher Behandlung die Sensorische Integrationstherapie mit einem Abschlussgespräch und weitergehenden Empfehlungen zur Stabilisierung des Kindes.